Old and new Anomalies

Sein Gast war nicht wirklich anders, als er sich ihn vorgestellt hatte. Er hatte ähnliche Gefplogenheiten wie Raven sie hatte: Seesack/Rucksack achtlos in die Ecke, leger auf den nächsten Stuhl gesetzt, keine Manieren, was die Höflichkeiten besaß. Er könnte also fast ihr Bruder sein.
Yorelias setzte sich, wie es dem Hausherren geziemte, an das obere, etwas weiter entfernte Ende, der Tafel. Als er sah, wie Kez sich ein Getränk nahm, nahm er ebenfalls seines zur Hand – eine alter, irischer Whiskey, und prostete ihm zu.
Dann rückte er sich seinen Stuhl zurecht und lauschte der Antwort von Kez. Anscheinend wusste er nicht – wie Yorelias erwartet hatte – was Raven eigentlich in den letzten Jahren getrieben hatte und er nickte nur.
"Ja... tot... Aber ziemlich aktiv. Zumindest so aktiv, wie man es in der Matrix sein kann, wenn man ein E-Ghost geworden ist. Allerdings hat sie mittlerweile auch die Angewohnheit sich humanoider Biodrohnen zu bedienen, welche sie als realen Menschen erscheinen lassen – oder was auch immer sie sein möchte." Er ließ den Kommentar etwas wirken und setzte dann fort: "Also haben Sie dies wohl nicht mitbekommen. Nun... das lässt meine Frage aufkommen, warum Raven gerade sie als Hinweis zulässt, um sie zu finden."

Der arme Kerl wusste wirklich nicht um Ravens E-Ghost-Natur, zumindest sagte es ihm seine Intuition, dass man diesem Kez in dem Punkt glauben konnte. Und warum sollte man auch nicht? Immerhin schien es Parallelen zu geben: Kez verließ sie vor Jahren, ohne ein Lebenszeichen und nun tat sie das gleiche mit ihm. Nun, nicht ganz, denn es gab ja diese Anhaltspunkte, die von ihr wissentlich so platziert wurden, dass sie mehr Frage als Antwort waren.
Yorelias nickte auf seine Aufzählung hin und murmelte ebenfalls: "Kez, die Bank, ich..." Während er noch in den Gedanken darüber war, welch seltsames Zusammentreffen Raven plante, wenn sie ihn und Kez zusammenbrachte und wohin diese Schnitzeljagd führen sollte, passierten mehrere Dinge gleichzeitig: die Lichter flackerten, Rauschen in den Lautsprechern, ein Stuhl der umfiel und ein nervöser Gast, der bei den Panikattacken, die er hatte, eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit hatte, an einem Herzinfarkt zu sterben – und das war als Runner ausgesprochen selten.
Ruhig und mit prüfendem Blick auf die Monitore, die Trideos und das Gehör auf das Rauschen konzentriert, stand Yorelias auf und kam näher.
"Nein, das ist nicht Raven. Aber ein Freund von ihr. Vielleicht jemand, der nur darauf gewartet hatte, dass wir zusammentreffen." Er besah sich den Kitsune und musste feststellen, dass sich das Aussehen verändert hatte zum letzten Mal, als er ihn gesehen hatte. Seine Züge waren klarer, er war größer geworden, viel detaillierter, aber vom Wesen her, immer noch der Gleiche wie damals. "Firefox? Möchtest du uns sagen wo Raven ist?" Restpektvoll, fast schon ehrführchtig, ging er auf die Entität zu, den Kopf leicht geneigt, als würde er sich verbeugen.

Das war wirklich unangenehm. Je länger sie sich unterhielten, desto mehr war Yorelias der Bote schlechter Nachrichten. Er schüttelte langsam den Kopf, schaute Kez mit starrem Blick dabei ein. Ein Blick der kalt und schmerzerfüllt war. Als würde er direkt seine Erinnerungen per Blickkontakt weiterleiten, in der Hoffnung, der Empfänger würde sich mit den verwirrten Bildern auskennen, die bei ihm ankamen.
Zwar hatte Yorelias den Tod von Wyatt nur per Aufnahme miterlebt, aber die Zeit, die sie alle miteinander verbracht hatten, machte es umso schmerzhafter nicht dabei gewesen zu sein. Schließlich war der Tod eines Krieger an der Seite seiner Verbündeten. Nun, zumindest ist er durch die Hand einer Vertrauten gestorben. Was die Sache allerdings auch nicht besser machte.

Interessant war allerdings, wenn er sich schon Zeit nehmen konnte das zu interpretieren, was er gerade gesehen hatte, dass auch Firefox oder Cloud, wie Kez ihn nannte, eine gewisse Rolle spielte. Nicht nur das Maskottchen von Raven, dass als freier Sprite die Matrix unsicher machte, sondern als... nunja, ebenfalls wohl verstorbener, ehemaliger Verbündeter – oder mehr sogar. Er war es, der zusammen mit Raven und Kez auf Runs gewesen ist. Und Firefox blieb anscheinend übrig...
Dass Kez so begeistert und fasziniert von ihm war, machte seine Antwort auf die Frage nach Wyatt noch schlimmer. Er wäre gerne der Überbringer der guten Nachrichten gewesen: "Hey, der Scherz ist raus! Alles nur Spaß! Alles Gute zum Geburtstag und willkommen zu deiner Überraschungsparty!" Und dann würden Raven, Wyatt und Cloud durch die Tür stürmen. Mit Champagner und Tequilla (letzteres wäre wohl Ravens Idee gewesen). Und dazu die Countess, die ihnen offenbart, dass sie insgeheim für sie alle gearbeitet hat. Große Torte, große Versöhnung, alle Glücklich...
Stattdessen waren leider alle tot, E-Ghost, Sprite oder, wie in Kez' Fall, einfach abseits von allem.
"Es tut mir leid. Er starb durch Ravens Hand. Und das ist wohl auch der Grund, warum alles so sinnlos ist zu diesem Zeitpunkt: Raven würde Wyatt nie etwas antun. Und doch starb er durch sie. Raven ist nun weg und die einzigen Hinweise bieten anscheinend Verstorbene, Matrixkonstrukte und eine ominöse Bank. Dazu hat Raven Sie, Mr. Gelbero, wohl dazu geholt. Sie müssen die Puzzleteile zusammenfügen."
Er redete einfach weiter, versuchte ihm keine Zeit zu lassen den Tod von Wyatt zu verarbeiten. Das hatte selbst Yorelias noch nicht (Überraschung! Alles nur ein Scherz...).
"Also? Was war das für ein Ort, wo Raven saß?" Er wandte sich dem Monitor zu und versuchte aus den Bildern von Firefox/Cloud schlau zu werden. Doch in diesem Fall würden wohl nur die engen Verbindungen zwischen dem Dreiergespann die Lösung bringen.

Kez' Unglaube darüber was passiert war, rührte Yorelias und gerne hätte er ihm den Schmerz genommen. Aber der Schmerz sollte ihn antreiben das zutun, was ihn Raven etwas näher brachte. Also nickte er. "Das kann ich verstehen. Die Beweise sind eindeutig. Es gibt eine Aufzeichnung des Vorfalls und zwei meiner Vertrauten waren nur Bruchteile von Sekunden später im Raum und haben den Körper von Wyatt vorgefunden. Doch Mr. Gelbero... ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen." Damit seufzte Yorelias kurz und nahm sich von seinem Getränk, um Kez' weiterer Ausführung zu folgen, welche er sehr begrüßte, denn er stellte sich als Mann der Tat heraus.

"Die Countess sollte unser zweiter Anhaltspunkt sein. Erst einmal müssen die von Raven gestreuten Brotkrumen gefunden werden.", sagte er schließlich und stellte sein Glas ab, um einige Schritte in Richtung eines anderen Raumes zu machen. "Lassen Sie sich nicht beirren, fragen sie Firefox weiter aus.", rief er noch und holte dann einige Augenblicke später zwei Reisetaschen hervor. Auf die Frage hin, wie schnell er packen konnte, deutete er zu seinen Seiten, wo er die Taschen abgestellt hatte. "Gedenken Sie, Mr. Gelbero, heute hier zu nächtigen, um die Strapazen der Reise zu auszukurieren, oder soll ich mein Fahrzeug bereit machen?"

Noch mehr Fragen, noch weniger Antworten. Er konnte es ihm nicht einmal sagen, warum er es war, den raven kontaktiert hatte. Vielleicht weil er es in jüngster Vergangenheit war, der nach ihr suchte und seit Monaten nichts unversucht ließ. Vielleicht aber auch, weil sie mit ihrem alten Leben abgeschlossen hatte – mit ihren Freunden und den Erinnerungen an die Countess abgeschlossen hatte... Wer wusste schon gerade, was in Raven vor sich ging. Niemand! Und das machte es ja noch schlimmer. Selbst wenn er Antworten hatte, konnte sich bereits jetzt alles wieder geändert haben. Warum tötete man sonst seinen eigenen Bruder?

Er nickte Kez kurz zu und verschwand im AR, um einige Buchungen zu machen, bzw. einen Privatjet des Councils kommen zu lassen. Dazu machte sich ein Fahrzeug in der Garage bereit und fuhr bereits vor den Eingang der Villa.
"Keine Umstände wegen der Tickets. Für einen Flug ist gesorgt. Ebenso für ein Vehikel." Das war vielleicht das falsche Wort für einen teuren Geländewagen der Extraklasse, aber Yorelias legte nie viel Wert auf Protz. Zumindest nicht diese Version von ihm.
"Mr. Gelbero, ich würde Ihnen gerne alle Fragen beantworten und wir werden noch viel Zeit auf dem Weg haben, um diese zu diskutieren, aber Antworten werde ich wohl nur unzureichend haben – für uns beide.", erklärte er ihm nun endlich die Wahrheit dahinter. "Sollten wir uns nicht lieber auf den Weg machen?", fragte er, um den Antworten die er hatte auszuweichen. "Das Auto ist bereits vorgefahren." Er nahm seine Taschen und machte sich bereits auf in Richtung Ausgang. Im besten Fall folgte Kez ihm einfach nur und sie stiegen wortlos ein, um dann das Flugzeug am Flughafen zu boarden. Im besten Fall ebenfalls wortlos.