I. Orichalcum

Sam und ein schlaues Bürschchen? Klar! Wenn es darum ging, ein Regelwerk eines Rollenspiels zu erklären, dann war er ihr Mann! Zugegeben, auch wenn es um das Handwerk des Scharfschützen ging, konnte er wohl stundenlang erzählen, wo der beste Platz zum Schuss war, wie der Wind sein musste und wie schnell sich die Erde drehte, damit er den perfekten Schuss erzielen konnte. Aber wenn es darum ging, einen Auftrag an Land zu ziehen, da schickte er lieber Ashoka vor. Sie war das „Face“ und sollte sich um so etwas kümmern. Aber Sam hatte sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht – und brauchte Kohle! Die Bar war rappelvoll, Ashoka, Alison und Hanna hatten alle Hände voll zu tun. Unwillkürlich dachte er dann an die beiden Nummern, die Ashoka ihm zugesteckt hatte. Er war schon halb angetrunken und gar nicht in der Stimmung neue Kontakte zu machen...
Doch er nickte Ashoka zu und deutete auf die Nummern auf die Zettel:
„Das ist aber nicht dein Ernst, oder?“, fragte er noch, bevor er ging. Eigentlich wollte er die Antwort darauf gar nicht wissen. Was wenn ja?! Das wäre wohl noch schwieriger für ihn, als den Run zu bekommen...
Er nahm die Flasche mit und ging auf den Magier zu. Unsicher ging er Schritt für Schritt weiter und überlegte, was er sagen sollte. Doch plötzlich stand er dann vor dem Magier, einem Mann mit... „Cooler Hut.“, hörte Sam sich sagen. „Hab ne Flasche und niemanden zum Trinken. Wie wär's?“, fragte er weiter und schüttelte mit der Flasche vor dem Gesicht des Magiers.

Ashoka beobachtete Das Szenario etwas skeptisch, während sie weitere Drinks mixte und servierte. Na, wenn das einmal gut ging.
Der Magier musterte Sam etwas skeptisch von oben bis unten und kräuselte kurz die Nase. Dann nippte er an seiner billigen Variante eines Martinis. Und Sams Worte bewirkten eine Meinungsäußerung. Der zuvor noch arrogante und hochnäsige Blick des Magiers wurde etwas lockerer und setzte sein Plastik-Martini-Glas an und leere es dann in einem Zug. Er nickte Sam zu, sich ihm gegenüber zu setzten, denn auch er saß ja offensichtlich allein. Dann schob er ihm wortlos sein Glas herüber.
„Darf ich auch den Namen meines Gönners erfahren?“, fragte er und konnte ein gewisses Misstrauen noch immer nicht ablegen.
„Ich heiße Julien Guimond.“, meinte er mit einem fremdländischen Akzent und schob sein Bündel an Talismanen wieder bedacht unter den Mantel, sorgsam darauf achtend, dass alles unter dem Mantel verstaut und nicht für Sam sichtbar war.

„Sam“, sagte der junge Elf knapp und setzte sich zu dem Magier, ohne den Sitzplatz angeboten bekommen zu haben.
„Gönner... Das passt echt gut zu einem Magier mit so alten Wörtern anzukommen.“, grinste Sam und irgendwie verflog seine Scheu fast gänzlich nach seinem Erfolgserlebnis. Er hatte es mit ein paar Wörtern geschafft, den Magier zu überzeugen mit ihm zu trinken. Ashoka war sicher stolz auf ihn und er war sich sicher, dass sie alles ganz deutlich mitbekam. Na ja, stolz? Es war wohl besser zu sagen, dass sie ihn eher als Partner ansah, wenn er auch mal was für ihre Aufträge machte und nicht nur als Elektriker, Schlossöffner und Schütze herhielt, wenn er nicht gerade als vollkommen nerviger Nerd auftrat.
„Julien also. Jümont, was? Du bist wohl nicht aus der Gegend, was?“, fragte Sam gleich weiter und öffnete den Korken der Flasche, um seinem Gegenüber einzuschenken. Dabei sah er kurz einige glitzernde Gegenstände unter der Jacke des Mannes – ebenfalls typisch Magier. Aber wohl eher Möchtegern-Magier, wie Sam fand. Er hatte schon einige Typen kennengelernt, die sich als Magier ausgaben. Die Noobs unter ihnen hatten alles mögliche an Glitzerzeugs dabei, um cool zu wirken, aber die wirklich guten verließen sich auf ihre Magie, genau wie er als Adept. Erst wenn man in die Oberliga kam, da wurden die Talismane wieder interessant. Wer konnte sich auch schon als Anfänger mal eben Amulette im Wert von einigen hunderttausend Nuyen leisten? Und wenn man in so eine Bar wie hier ging, in den Barrens, in Seattle... dann war man noch ganz unten in der Nahrungskette und suche Verbündete – oder Leute die dumm genug waren und das Geld brauchten!
„Ganz ruhig, hier passiert dir nichts.“, meinte er zu ihm und schüttelte den Kopf. „Das ist meine Bar... so zu sagen. Hier wird schon nix geklaut.“ Sam griff wie selbstverständlich hinter sich, ohne jedoch nach hinten zu blicken. Wie immer waren dort Gläser versteckt. Er nahm eines, fixierte mit einem freundlichen und wohlwollenden Grinsen, welches nicht einmal unehrlich war, den Magier und schenkte sich ebenfalls ein.

Auf Sams Frage hin schüttelte der Magier nur den Kopf und blieb vorerst recht wortkarg und überließ Sam, der Labertasche, das Wort. Erst als er sah, wie Sam die Gläser hervor, entspannte er sich noch etwas. Er blickte sich kurz in der Bar um, aber alle schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein, zu diskutieren, zu trinken, zu feiern. Bisher war wirklich alles recht friedlich. Aber Ashoka wusste, dass es hier auch ganz anders zugehen konnte. Während Sam einschenkte und ihn anlächelte, meinte der Magier:
„Aber wenn das deine Bar ist? Warum hast du dann niemanden zum Trinken?“, hakte er wieder etwas skeptisch nach. Er nahm aber Sam das Glas entgegen, wartete aber ab, bis auch Sam einen Schluck davon tat. Der Schnaps hatte einen recht sonderbaren Geschmack, wenn man ihn nicht gemischt trank, aber er schmeckte zumindest nicht nach purem Spiritus. Als auch Sam sein Glas leerte, tat es der Magier ihm gleich.
Was machst du eigentlich beruflich?“, interessierte er sich, um seinen Gegenüber kennen zu lernen, während sich wieder ein wohliges Brennen in seiner Kehle und seinem Magen ausbreitete. Das Interesse war aber eher beruflicher als persönlicher Natur.

Wie mit jedem Schluck von Ashokas Selbstgebrannten, musste Sam erst einmal das Gesicht verziehen und hustete kurz.
„Phoaa... Das Zeug haut rein.“, sagte er mehr zu sich selbst als zum Magier. Erst dann schaute er wieder zu ihm und merkte, dass sich der komische Kautz etwas entspannt hatte. Sei es wegen des Alkohols oder Sams Zusicherung, dass hier niemand klaute – was er übrigens nicht wirklich als Wahrheit ansah. Dafür kannte er einige der Gäste zu gut.
„Na ja...“, antwortete er und schien zu überlegen. „Vielleicht nicht ganz meine Bar, dafür aber so etwas wie mein Zuhause. Und wenn man ständig neue Leute in seinem Zuhause hat, möchte man die natürlich auch kennenlernen. Mit den Meisten hier hab ich schon getrunken...“, meinte er nun grinsend und war mit seiner Antwort zufrieden. Schließlich verbrachte er ja auch einen Großteil seiner Freizeit hier. Nicht um zu trinken und zu feiern, wie die meisten anderen hier, aber er genoss die Gesellschaft der Mädels und von Ashoka mit der er gerne Trainierte – oder sie mit Rollenspiel-Kram nerven konnte.
„Aber um deine Frage zu beantworten, Mr. Jümont: ich bin ein Auftragnehmer mit speziellen Fähigkeiten um... Schwierigkeiten zu machen oder ihnen aus dem Weg zu gehen. Je nachdem, was man wohl gerade braucht. Ist wohl hier in der Gegend recht nützlich, besonders wenn man das beruflich macht, wenn du verstehst.“, meinte er und schenkte ihnen nach. Die Flasche war noch ziemlich voll und ehrlich gesagt war Sam froh darum, dass sein Gegenüber gleich zum Thema kam, noch bevor sie die Flasche komplett leeren mussten.
„Und was macht ein... äh... Magier? Schamane? Ach, was weiß ich, wie ihr genannt werden wollt, in so einer Bar?“

Der Magier wirkte etwas entspannter, vermutlich schon etwas angeheitert. Jedenfalls breitete sich in seinem blassen, fahlen Gesicht eine Spur der Wohligkeit aus. Er beugte sich fast schon verschwörerisch über den Tisch, etwas in Sams Richtung.
„Dann bist du also ein Runner, der Aufträge übernimmt, wenn man ihn bezahlt? Ich bin nämlich auf der Suche nach jemandem, dem ich vertrauen kann und der mich für gutes Geld unterstützt. Unter anderem bin ich aus diesem Grund hier. Und weil die Drinks nicht so teuer sind und man für sein Geld etwas geboten bekommt.“, gab er zu und trank den Schnaps aus, den Sam ihnen eingeschenkt hatte. Mit jedem Schluck schien er immer weniger zurechnungsfähig und immer redseliger zu werden. Hin und wieder huschte sein Blick zu den leicht bekleideten Mädels an der Bar. Dann riss er sich zusammen, auch wenn sein Blick glasig wurde und er sich scheinbar besinnen musste. Er griff in seinen Mantel und kramte in einer Manteltasche herum, bevor ein winziges Fläschchen hervor holte und es Sam zeigte. In seinem Inneren befand sich etwas metallisch glänzendes, gelb – fast schon orange – glänzendes. Es durfte sicher nicht einmal ein halbes Gramm sein. Der Magier ließ das Fläschchen auch nicht aus der Hand, sondern zeigte es Sam schlicht und kurz, bevor er es wieder verschwinden ließ.
Ashoka beobachtete das Ganze inzwischen aufmerksam, während sie Gläser polierte und danach wieder befüllte.

Es dauerte nicht lange: nur ein Paar weitere Runde und noch etwas sinnloses Geplänkel, bei dem es eigentlich um nichts ging. Ashoka beobachtete, wie die Flasche immer leere – dafür ihre Gäste immer voller. Nur eine halbe Stunde später beugte sich der Magier scheinbar flüstern, aber schrie er fast schon in Sams Richtung.
„Ich zahl dir gutes Geld, wenn du mich beschützt. So viel, dass du glaubst, du bist reich. Du musst nur aufpassen, dass mir nichts passiert!“, lallte der Möchte-Gern-Magier vor sich hin.
„Da gibt es nämlich Unmengen von dem Zeug aus der Phiole, aber nur ein Magier kann es finden und bergen. Also brauchst du mich und ich brauche dich...Gutes, leicht verdientes, sauberes Geld...“, flötete der betrunkene Magier Sam zu. Es war aber nur eine Frage, bis er sich verplapperte. Also kam Ashoka irgendwann zu den beiden und deutete Sam ihr zu helfen. Zusammen stützen sie den Magier.
„Los, lass uns ihn in den Nachbarraum bringen, da kann er sich dann aufs Ohr hauen!“, meinte sie scheinbar besorgt. Zusammen stützen sie das Fliegengewicht und schleiften ihn fast schon mehr, als dass er lief, in den Raum – wo Ashoka ihn wie einen nassen Sack auf eine der abgewetzten Ledersofas warf. Mit ein Paar Griffen durchsuchten sie ihn und alle Taschen seines Mantels, wo sie in einer der inneren Brusttaschen sowohl die Phiole fanden, als auch ein kleines Büchlein mit Aufzeichnungen. Ashoka steckte es ein. Sie wusste, dass er so knülle war, dass er sich am Folgetag nicht mehr erinnern würde, wer ihn ausgeraubt hatte. Und je später der Abend wurde, desto voller würde die Bar werden. Da kam es nicht selten vor, dass ein betrunkener im Saufkoma schon mal ausgeraubt wurde.
Sie klopfte Sam auf die Schulter und meine: „Du solltest auch ausnüchtern und morgen geht es dann los. Die Suche beginnt!“, meinte sie verschwörerisch und voller Vorfreude darauf, was sie alles finden würden!

Ashoka grinste Sam an und holte eine Kanne mit frisch gebrühtem Soykaf. Davon schenkte sie ihm eine Tasse ein und holte unter der Bar einen Whisky hervor, von dem sie einen großzügigen Schluck in die Tasse goss, gefolgt von eine Schachte FunCubes, die vollgestopft mit Zucker sonstigen Aromen und verschiedenen Geschmäckern waren.
„Hier, das wird dich wieder aufputschen!“; meinte Ashoka und schob San beides zu.
„Um unseren Magier-Freund haben sich ein Paar Orks gekümmert. Der dürfte wohl bald in einer Mülltonne aufwachen und der festen Überzeugung sein, dass er bestohlen wurde...“, meine sie und winkte Hanna und Alison zu, als diese gähnend die Bar verließen. An diesem Abend würde die Bar geschlossen bleiben. Ihr freier Tag in der Woche und der musste genutzt werden, um irgendwie das große Geld zu machen und über die Runden zu kommen. Nach dem Kaffee bugsierte sie Sam in ihre Dusche, die zur Zeit nur kaltes Wasser zu bieten hatte, aber das sollte eine Sinne beleben. Sie packte ein Paar Waffen ein, Messer, ein Seil, Taschenlampen, Ersatzmunition. In der Matrix versuchte sie noch eine Übereinstimmung zu finden, aus den Notizen des Magiers und den Koordinaten. Und es schien alles auf das Rattennest hinzudeuten.
Ashoka verzog das Gesicht, als sie sich nähere Infos darüber einholte: Das Rattennest war eine gigantische, völlig außer Kontrolle geratene Mülldeponie in den Barrens – Redmond, um genau zu sein. Es würde also ein längerer Fußmarsch werden, falls sie nicht unbedingt ihr Motorrad gefährden wollte. Mittlerweile diente die Deponie auch als Zufluchtsort für Obdachlose und Müllsammler, die sich aus Abfällen Unterkünfte bauten. Critter gab es auch reichlich, die sich auf der Deponie versteckten. Und besonders viele Teufelsratten gab es hier auch. Eklige Biester, die bis zu einem Meter groß wurden und Krankheiten verbreiteten. Sie freute sich schon auf diese totale Anarchie, den Dreck und Gestank. Danach konnte sie ihre Klamotten sicherlich verbrennen.
„Na, das wird ein Spaß!“, brabbelte sie noch vor sich hin und steckte zur Sicherheit noch ein Paar Akkus für ihre Taschenlampen ein. Ein Medikit konnte auch nicht schaden.

In Ashokas Bar war es oft ein bestimmtes Bild was Sam vor seinem geistigen Auge hatte: Am Vorabend betrank man sich so dermaßen - meisten sinnlos, ab und zu mal um Infos für einen Run zu bekommen - und am nächsten Morgen... nun ja, ging es irgendwie so weiter.
Er nahm die Mischung aus Koffein, Alkohol und einer Portion Geschmacksexplosion entgegen, nippte dran, trank einen großen Schluck und spürte sogleich wie sein Kreislauf reagierte. Am liebsten würde er nun einen Halbmarathon laufen!
Stattdessen schleppte Ashoka ihn weiter zur Dusche, wo er mit - vollkommen überraschend! - kaltem Wasser geweckt wurde, sodass seine Kopfhaut kribbelte. Angezogen, geduscht und aufgeputscht ging er schließlich zur Bar, wo Ashoka schon wartete, um ihn zu briefen.
„Rattennest? Wirklich? Boa, da sollten wir uns vorher wohl impfen... gegen... gegen alles glaub ich!“, fiel ihm darauf nur ein und es schüttelte ihn – ob wegen der Aufputschmittel oder der Vorstellung, wusste er nicht ganz.
„Außerdem ist es da echt gefährlich. Ich hab gehört die essen dort Neuankömmlinge die unvorsichtig sind.“, verriet er die neuste Schauergeschichte übers Nest.
„Sollten wir da nicht Verstärkung mitnehmen?“, fragte er und schüttelte dann selber den Kopf. „Dann müssten wir ja teilen... hm, ich glaub ich werd mir meine Sakura abholen gehen. Hab mir ne neue Waffe bestellt. Keine beweglichen Teile, voll elektronisch. Voll das geile Teil!“ Er tippte auf seinem Comlink herum und zeigte Ashoka ein Bild von einer futuristischen Pistole.
„Habs per Drohne nun hier her bestellt.“, verkündete er dann und setzte sich auf den Barhocker. Er wusste selbst nicht genau ob er nur Zeit schinden wollte, um den sicher unerfreulichen Ausflug ins Rattennest zu verzögern, oder ob er ernsthaft nur auf seine Waffe wartete, die eine gute Ergänzung zu seinen beiden Kampfmessern und seinem Scharfschützengewehr war. Schließlich würde es im Rattennest nicht viel Platz geben. Diese Müllhalde hatte er einmal vor einigen Jahren besucht, um einem Freund zu helfen einige Teile für sein selbst gebautes Auto zu finden. Sie hatten es war nicht mit Crittern zu tun, aber selbst die ganz normalen Ratten waren der Horror. Das Beste wäre wohl einfach eine große, schwere Brechstange gewesen...