Old acquaintances and new friends

*



Seattle – 17 Essential-Bar



14.09.2075



*

All den Umständen und Nachforschungen zum Trotz: Damit hatte er nicht gerechnet: Er war erst ein paar Tage wieder in Dublin, hatte sich mit Duncan beraten, mit Alec die Sicherheit des Komplexes (was hatte er sonst nützliches beizutragen...) besprochen und war mit Denahi in Dublin Frühstücken gewesen, um herauszufinden, was sein Schützling alles dazugelernt hatte während er weg war und plötzlich, eines Nachts, während er mit einem alten Schmöker über Magie im Bett gelegen hatte, kam eine Nachricht auf sein Kommlink:„Komm am Samstag, den 14.09.2075, nach Seattle in die 17 Essential-Bar in Seattle, falls du deinen Plan verwirklichen möchtest...“.
Was hatte das zu bedeuten? War es wirklich Raven? Er konnte nicht anders als davon auszugehen. Schließlich war es die einzige Spur die er hatte. Die einzige Überlegung in diesem Moment war, ob er genügend Sicherheitspersonal mitnehmen sollte, um Raven daran zu hindern, einfach zu verschwinden. Doch was sollte er gegen einen E-Ghost tun? Zwar kosteten ihre Körper ein kleines Vermögen, doch was hinderte sie, abgesehen von ein paar Millionen Nuyen, daran, den Körper zurück zu lassen, um wieder zu verschwinden? Außerdem würde sie alle Sicherheitsmaßnahmen sofort erkennen. Kein Kommlink, kein Server, kein Knoten war vor ihr sicher...
Also entschied er sich am Freitag allen zu sagen, dass er einige Tage Auszeit nahm und war an jenem Morgens in die besagte Bar. Sie war eine Mischung aus mondernem Fastfood und stylischem Erlebnis. Sie war viel verglast und trotzdem konnte man sich in dem großzügig angelegten Ambiente einen Platz suchen, der einem Privatssphäre bot. Die Kellnerinnen und Kellner waren unaufdringlich und man hatte fast schon ein Problem damit, dass sie überhaupt zu einem kamen. Er entschied sich für ein Frühstück, genehmigte sich bereits das erste Pint und wartete nach dem Mittagessen, welches er ebenfalls bestellte, bis hin zum Abendessen... Doch von Raven war noch keine Spur.

Ein nachtschwarzer Dodge Challenger fuhr vor. Es war Samstag, der 14. September 2075 um 20 Uhr. Der Dodge parkte sich mühelos in der Reihe anderer Privatfahrzeuge ein. Eine junge Frau in einem roten Kleid stieg von der hinteren Tür aus und eilte zur Fahrertür, die sie öffnete. Eine zweite Frau verließ das Fahrzeug und steuerte die Bar an, während die erste irgendwohin in Richtung des Parks verschwand, der die Bar umgab. Die zweite junge Frau stieß die Tür auf und steuerte direkt auf die Bar zu, wo sie sich auf einen der Barhocker setzte. Bereits während sie die Bar betreten hatte, hatten sich alle Blicke auf sie gerichtet. Sie hatte eine nahezu schneeweiße Haut und strahlend rotes Haar. Jedoch war es von diesem natürlichen, angeborenem Rot, welches keine Färbung nach zu ahmen vermochte. Sie hatte nichts Künstliches an sich. Jedoch etwas sehr Altertümliches. Das rote Haar trug sie offen, es fiel ihr in sanften Wellen, nahezu gerade, ins Gesicht. Sie trug ein weißes, seidenes Kleid und flache, weiße Schuhe und scheinbar nichts darunter. Kein Büstenhalter, keine Unterwäsche schnitten in ihren Körper, während sich der weiße Stoff an ihren Körper schmiegte – wie Wasser. Sie setze sich an der dunklen, hölzernen Bar und bestellte einen Rotwein, der nahe zu sofort gereicht wurde, Ihre wachsamen Augen huschten flüchtig über die Umgebung und musterten jeden unverfänglich, hastig und jedoch lang genug, bis ihr Blick an Yorelias hängen blieb. Sie schaute ihn sehr kurz an und bestellte sich einen zweiten Rotwein, da der erste bereits leer war.

Als der sich ein Fremder neben ihr setzte, winkte sie dem Barkeeper ihr ein drittes Glas Wein zu beringen. Wer wusste schon nach den Tausenden von Jahren... und ihre Informantin schien recht zu haben... Sie nickte schlicht hin auf seine Frage und deutete ihm, sich neben sie zu setzen, Sie hielt ihm ihm ihr Glas entgegen, das einen sehr schweren und eine fast schwarzen Rotwein zu enthalten schien.
„Auf die Millennia! Neues... wird schon kommen müssen...leider...“ toastete sie ihm zu und stieß mit ihrem Weinglas mit seinem Bier an. Ihre goldenen Augen schauten ihn an und brannten wie tausende von Feuern. Sie leuchteten ihn mit der frischen Glut an, die zuvor tausende von Städten nieder gebrannt hatten - Publius Cornelius Scipio würde sicher noch heute seine Geschichten zu erzählen wissen.
„Kummer... ist so ein schweres Wort...“, meinte sie leicht hin, nachdem sie ihren Wein getrunken hatte und dem Barkeeper winkte gleich eine Flasche Tequila zu bringen.
„Wissen Sie denn etwas von Kummer... vom Leid... dieser Tage... dieser Welt?“ Sie schaute ihn an und es schien fast, als würden sich ihre Augen bis ins Innerste seiner Seele brennen.

Ob es Raven, oder eine Unterhändlerin war? Er konnte es in diesem Moment nicht sagen. Ihre Worte klangen so schwer, so gehaltvoll, dass er nicht wusste, wen oder was er vor sich hatte – oder neben sich.
Er gab sich dem hin, was er hatte und trank aus seinem Bierglas, während er durch die Bar schaute. Allerie Leute, die dem trendigen Essen der Zeit folgten. Niemand, der in verzwickte Geheimhaltungsstufen der Konzerne oder der Staaten geriet, niemand der den Untergang der modernen Gesellschaft (Nach Maßstäben der Generation), aufhielt. Ganz normale Leute. Und so versuchte sich Yorelias ebenso zu verhalten.
„Ganz schön schwere Frage – für jemanden wie mich. Ich denke“, so sagte er nach einer Pause „dass man sich anpassen kann. Somit nimmt man dem Wort „Kummer“ doch seine Bedeutung, oder?“
Er wollte nicht tiefsinnig sein, sondern lenkte das Thema auf einen Pfad, den ganze normale Menschen ebenfalls diskutierten. Ganz wie es sein sollte wenn sich zwei fremde Menschen unterhielten. Ebenso hätten sie sich über das Wetter unterhalten können...
Kummer, den bereitete sie ihnen allen. Ihm ebenso. Es ihr aber zu gestehen, war etwas ganz anderes. Er beobachtete, wie der Barceeper, die teure Flasche Tequilla, direkt aus Amazonien importiert, öffnete und ihnen, mit zwei Pinnchen, hinstellte. „Worauf trinken wir?“, wollte er wissen und nahm bereits die Flasche, um ihnen einzuschenken.

Sie lachte amüsiert und winkte ab. Nun sichtlich interessierter wandte sie sich ihm zu und dreht sich ihm auf dem Barhocker entgegen, schlug die Beine über einander und leerte ihr Weinglas. Der Barkeeper ließ ihre Gläser nicht ungefüllt und brachte Nachschub. Dabei musterte er die Frau ihm gegenüber, dann wieder Yorelias, bevor sein skeptischer Blick wieder zu ihr wanderte. Er verlor jedoch kein Wort und zog sich diskret wieder zurück.
„Dann auf alte Feinde und neue Freunde, die hoffentlich keinen Kummer bereiten!“, prostete sie ihm zu, stieß an und leerte ihren doppelten Tequila wie Wasser. Wieder war der Barkeeper da und reichte ihr ein neues Glas Rotwein.
„Darf ich den Herrschaften sonst etwas bringen?“; er schaute Yorelias fragend an, sichtlich unentschlossen, ob er Tequila nachfüllen oder Bier ausschenken sollte. Fachmännisch stellte er kleine, frisch gefüllte Schüsseln mit getrockneten, gesalzenen Soja-Würfeln, mit Nüssen und einem Gebäck vor sie.

Yorelias winkte ab. „Nicht nötig. Die Flasche Tequila und eine Flasche Rotwein – den, den die Dame trinkt.“, bestellte er und schob dem netten, allerdings auch etwas neugierigen Barkeeper einen Credstick zu. „Sollte etwas davon übrig bleiben, dann sehen Sie dies als Trinkgeld an. Ich melde mich zwecks neuer Getränke bei Ihnen. Danke für Ihre Dienste.“ Fast schon verneigte sich Yorelias, oder besser, deutete eine Verneigung an, um dem Barkeeper das Zeichen zu geben, dass seine Dienste nun getan waren. Er fragte sich auch, ob es nicht zu unhöflich rüber kam – für den Barmann und seine Begleitung... Doch er wollte ungestört sein. Seinen Tequila trinken, sein Bier nippen, die Frau vor ihm ausforschen. Denn er war sich immer noch nicht sicher, wen er da vor sich hatte.
Auf jeden Fall konnte sie trinken! Der Tequila ging runter wie Wasser, der Wein wurde direkt danach genüsslich getrunken. Es versprach ein amüsanter Abend zu werden. Denn selbst wenn er nicht Raven vor sich hatte, wusste er, dass es eine Gesandte von ihr war. Doch wem vertraute sie so sehr, wem, der aus Fleisch und Blut war, dass sie diese Person zu ihm schickte? Zum... verhandeln?
Er wusste nicht genau was das hier war. Zwei Leute die sich ungezwungen unterhielten. Die vielsagende, für Fremde uneinsichtige Bemerkungen austauschten, die zugleich oberflächlich und tiefsinnig wirken konnten. Wer Raven kannte, wusste, dass auch sie so sein konnte. Schließlich legte sie sich – bei all den Variablen dieser Welt – nie wirklich fest, hatte aber ihren Weg. Hm, wieder so oberflächlich... oder nicht? Es war nichtssagend und beschrieb sie dennoch. So wie diese Frau mit den roten, welligen Haaren, dem weißen Kleid, den weißen Schuhen, der perfekten Figur. Oberflächlich? Oder geradezu auserwählt von Raven? Er schloss auf Letzteres! Raven war berechnend, genau wie diese Frau vor ihm. Sicherlich!
„Auf neue Freunde.“, prostete er nochmals, nachdem er ihnen nachgeschenkt hatte und daraus fast ein Ritual machte. Er setzte die Flasche langsam an die Gläser, schenkte langsam ein, hielt dabei Blickkontakt und beobachtete sie, wie sie ihn beobachtete und an ihrem Wein nippte. Danach schnitt er, mit dem Messer und dem Brettchen, welches ihnen gebracht wurde, die dort liegende Zitrone zurecht. Das Salz stand neben den Nüssen und den Sojawürfeln. Er nahm sich eine Scheibe Zitrone, nahm sich Salz und stieß mit ihr an.
„Aber nicht nur neue Freunde, oder? Alte Bekannte würden ebenfalls passen, denke ich.“, sagte er, während er das Pinnchen zur Seite stellte und sich bequem in den Barhocker zurück lehnte. Der Barkeeper hatte in der Zwischenzeit seinen Abstand eingehalten und war nun bei anderen Gästen, die er mit seiner Neugier quälen konnte. Ihn quälte nur eine Frage: Wer und wo war Raven?!

Der Barkeeper stellte ihnen eine Flasche Tequila und eine Flasche Rotwein her. Er schaute die beiden noch einmal an, musterte den Mann vor ihm etwas skeptisch; sein Blick wanderte kurz zu der Rothaarigen.
„Ms.Worran?“, fragte er leise, woraufhin sie nur nickte. Damit verschwand der Barkeeper und widmete ihnen kaum noch Aufmerksamkeit, sondern kümmerte sich um die anderen Gäste.
Als Yorelias die Zitrone vor ihnen anschnitt, musterte sie ihn merkwürdig.
„Wirklich? Wir sind doch keine 16 mehr!“, sie musste grinsen und trank den Tequila so in einem Zug.
„Nun alte Bekannte... mag wohl stimmen... wir haben vermutlich gemeinsame Bekannte... „Sind Sie, Mr. Yorelias, nicht genau heute hier in Seattle um einen alten Plan zu verwirklichen?“, fragte sie und musterte ihn aus ihren unergründlichen goldenen Augen. Sie streckte ihren Arm aus und legte ihn auf die Bar mit der Innenseite nach oben. Auf ihrer bleichen Haut brannten sich wie von Geisterhand einige Narben und ein Name ein, als wären es frische Narben – noch nässend und nicht abgeheilt, rotbraun auf weißem, sonst makellosem Untergrund: Alamias stand in ihren Unterarm gebrannt. Und fast so schnell wie die Narben aufgetaucht waren, waren sie auch verschwunden, während ihre Augen ihn weiterhin musterten.

Ihre Worte machten zuerst keinen Sinn. Ein alter Plan? Alte Bekannte? Naja, Raven war wohl gemeint, aber dieser alte Plan wollte nicht ganz in das Konzept passen. Er nahm noch einen Tequilla, ebenso ohne Zitrone, ohne Salz – schließlich war er keine 16 mehr.
Als er sie dann abwartend und fast schon auffordernd anschaute, zeigte sie ihm die Innenseite ihres Armes. Erst blickte er gar nicht darauf, sondern schaute ihn ihre goldenen Augen, versuchte auszublenden, dass sie blass und weiß die Tugenden eines Vampires widerspiegelte, der sich am Abend mit einem seiner Opfer traf – ganz unverfänglich in einer Bar, um ein nichtssagendes Gespräch zu führen, um das Opfer mit dem natürlichen Charisma des Jägers in die Falle zu locken...
Doch dann offenbarte sich ein Name auf der Innenseite ihres Armes: Alamais. Ein Name, den er geschworen hatte von dieser Welt zu tilgen, den er ewige Feindschaft und seinen Untergang geschworen hatte.
Er zuckte zurück und man spürte fast die Hitze, die sich um ihn bildete. Sofort schnappte er nach ihrem Arm, legte seine Hand fest um den Ihren, fast so als würde er den Namen verschwinden lassen wollen krallte sich seine Hand darum.
„Welcher Plan? Wer... sind Sie?“, wollte er wissen. Nicht mehr höflich, nicht mehr zuvorkommend. Der blanke Hass schien in sein Gesicht geschrieben.