Old acquaintances and new friends

Die Rothaarige antwortete nicht. Stattdessen schaute sie kurz auf seinen Arm und dann passierte alles ganz schnell. Es waren ihre angeborenen Reflexe. Binnen des Bruchteils einer Sekunde löste sich sein Körper, jedes Atom in seinem Körper in Flammen auf. Verbrannte lichterloh und zugleich doch nicht. Unerträglicher Schmerz, jedoch zu kurz und zu glühend, um ihn wirklich empfinden zu können. Und dann standen sie plötzlich standen sie am Eliot Bay. Irgendwo im Nirgendwo, umgeben von Bäumen und das spiegelnde Wasser vor sich. Ein gefährlicher Ort für sie... Als sie ankamen, hielt er ihren Arm noch immer fest, was sie jedoch nicht abschreckte. Schon lange nicht mehr... Sie hob die Hände und legte sie mit einer ungewohnten Geschwindigkeit für Sterbliche an seinen Kopf. Sie ließ es zu. Versetzte sich in all der Zeit zurück. Es war so lange her, dass es hunderte von Leben her war und gleichzeitig begleitete es sie bis heute, ganz gleich wie mächtig, wie einflussreich sie war. Ganz gleich wie sehr sie versuchte zu vergessen. Es hatte sich in ihre Gedanken, nein in ihre Seele, gebrannt.
Sie zeigte ihm ein Bild, das nur wenige bisher gesehen hatten: eine Frau mit langen roten Haaren - unglaublich schön und unglaublich blass, beinahe unmenschlich - war an allen Vieren an ein Andrea-Kreuz angebunden. Sie trug altertümliche Gewänder, die an das alte Persien oder Ägypten erinnerten. Verzweiflung, Panik, Angst, Schmerz standen in dem schönen aber alterslosen Gesicht. Ein Kind kniete in einer Entfernung und wurde von einem Wachmann gehalten. Ein Mann mit dichtem schwarzen Haar, mit östlichen Zügen und mit östlichen Gewändern wurden von vier Wachen an goldenen Ketten gehalten; er lehnte sich dagegen, versuchte mit alle Macht und aller Verzweiflung dagegen anzukommen, während sich die Ketten in sein Fleisch brannten. Die grausame Szenerie wurde kurz unterbrochen, als ein goldener Drache, der Yorelias nur zu bekannt vorkam, landete und einen tödlichen Feuerstoß ausstieß, in dem die Frau schreiend vor Schmerzen lichterloh in Flammen aufging. Ihre Schreie hallten in den Gedanken nach, der Geruch von verbranntem Fleisch war überall, auch jetzt noch.
Als sie wider in der Realität ankamen löste sie sich keuchend und mit Tränen in den Augen von ihm. So lange war es her... in der vierten Welt... Fast wäre sie dahin gefallen, taumelte jedoch nur ein Paar Schritte zurück, gegen den nächsten Baum und hielt sich kurz an, bevor sie sich fassen konnte. Ihre Augen brannten jedoch mit dem Hass von tausend Höllen. Selbst Drachenfeuer vermochte nur gleich heiß zu sein...

Raven hasste sie. Wie sie so großspurig vorfuhr. Sie hasste ihr Personal. Raven hasste Alyssa. Mit all ihrer Macht. Mit ihrem Alter, Mit ihren Untertanen. Raven hasste sie einfach. Sie hasste ihr neckisches, halb nacktes Auftreten. Sie hasste es, wie sich die Rothaarige an der Bar räkelte und sich an Yorelias heran schmiss. Auch wenn sie ihr Jahrtausende voraus hatte und um so Vieles mächtiger war, mochte Raven sie nicht. Oder gerade deswegen: weil sie mächtiger war als Raven selbst. Raven wusste nur, dass sie sie hasste und deswegen ließ sie die Rothaarige niemals unbeachtet mit Yorelias allein, bis zu diesem Moment, sie verschwanden einfach und Raven konnte ihr nicht folgen. Sie hasste sie. Für Raven war sie nur ein Mittel zum Zweck. Nur eine Ablenkung für Yorelias – vielleicht auch eine Hilfe, um seine Pläne zu realisieren, aber auch ein Mittel um ihn von Raven abzulenken. Jedoch wollte sich nicht, dass sie ihn so sehr ablenkte, dass sich alles Ravens Einflussbereich entzog. Verdammt!

Erst die Teleportation, dann die Vision... auf beides war er nicht gefasst. Gerade noch hatte er sein Glas in der Hand, wollte den Tequila herunterspülen, dann war er an einem ganz anderen Ort und dann in einer ganz anderen Zeit. Es erinnerte ihn an seine Vergangenheit, nur war jene Vergangenheit von ihr noch um einiges weiter in der Ferne als seine. Mindestens 1000 Jahre... wenn nicht noch viel länger. Er schloss durch die Eindrücke der Ausrüstung der Wachen, der Schwerter, die sie trugen, der Umgebung, die er nur flüchtig mitbekam, auf eine orientalische Umgebung der Frühantike. Eisenwaffen, Eisenrüstungen, einfache Gewänder und trotzdem konnte man eine Art höhere Gesellschaft erkennen. Die Farben, die Art der Webung der Stoffe... es ließ auf babylonisches Territorium schließen. Vielleicht unter griechischer Herrschaft?
Die Eindrücke ließen aber auch ganz Natürliches erkennen: Den Schmerz, die Demütigung, die Ungewissheit, die Gewissheit, die Zeit in der Menschenrechte noch weit, ganz weit weg waren. Es war fast wie heute, wie Yorelias fand. Nur, dass die Drachen keine Menschen mehr verbrannten, sondern dafür sorgten, dass sie sich zu Millionen in Armut befanden, dass sie sich selber niedermachten, sich auf der Straße erschossen...
Yorelias konnte die Panik der ans Kreuz gebundenen fast selber spüren, die Angst, als der goldene Drache, der unverkennbar Alamais war, auftauchte und seinen Feueratem spüren ließ...
Dann wachte er auf.
„Was... war das?“, wollte er wissen. Als er sich umblickte, erkannte er die Küste. Die Wälder und das Wasser. Sie waren nicht mehr mitten in Seattle, sie waren... teleportiert. Er hatte es also mit einer sehr, sehr mächtigen Magierin zu tun. Oder sie hatte mächtige Komplizen. Darauf ankommen lassen, wollte er es aber nicht.
„Wo sind wir. Wer bist du. Und was willst du.“, waren seine weiteren Fragen, als er sich gefangen hatte und jeden Muskel seines Körpers anspannte, um auf alle Eventualitäten gefasst zu sein. Er hatte auch einen Schritt nach hinten gemacht. Nicht um zu zeigen, dass er sich nicht wehren konnte, sondern einfach, damit sie ihn nicht plötzlich wieder in eine Vision oder eine Teleportation zog.

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte und einige Schritte sie von einander trennten, beschloss sie, dass es wohl das Beste war, seine Fragen der Reihe nach, zu beantworten.
„Mein Name ist Alyssa Worran und die Frau und den Mann, die du zuvor gesehen hast, das waren meine Eltern – von vor über 2500 Jahren... Früher dachte ich, es seien die Herrscher dieser Welt gewesen, aber mittlerweile kann ich mich erinnern, dass es Alamais war, der sie getötet hatte...“ Mit einer Handbewegung wischte sie sich die Tränen und die Unmut aus dem Gesicht und kam wieder sehr langsam und sehr bedächtig auf ihn zu. Der Wind schmiegte ihr seidenes Kleid dicht an ihren Körper und obwohl es hier draußen frisch war, fror sie nicht.
„Keine Sorge, wir sind noch immer in Seattle, nur zwei Kilometer von der Bar entfernt. An der Küste. So viel Macht habe ich nicht, dich zu entführen...“, schmunzelte sie wieder.
„Mein Domizil ist 250 Kilometer von hier jenseits von Vancouver...“ Sie schwieg kurz, strich sich durch das rote Haar und streckte sanft die Hand nach ihm aus.
„Vor ca. einem Monat ist ein kleines Mädchen in meinem Palast aufgetaucht. Mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen – völlig seelenlos. Sie hat mir von dir erzählt. Sie meinte, dass wir einen gemeinsamen Feind haben und dass du noch immer das Ziel hast... ihn zu verfolgen...“, damit brach sie ab und schaute ihn erwartungsvoll an.

„Gram... Hass... Es ist schon so lange her... alle, die mit dem Mord an meinen Eltern zu tun hatten, sind schon lägst tot – so wie deren Nachkommen... die es teilweise niemals gab... Gram und Hass sind Emotionen, die ich mir nicht leisten kann, ich darf es nicht... zu viele Leben hängen an mir und meiner Existenz ab. Außerdem habe ich nichts von Matrixforen und der gleichen. Ich habe Bedienstete, die sich damit auskennen, sodass ich mir das ersparen kann...“, sie schwieg und blickte kurz in die Ferne gen Norden.
„Dieses Kind, Raven, kam vor einem Monat zu mir und meinte, ich solle dich hier und heute suchen. Ich solle dir sagen, wo Alamais ist, damit du deine und einst meine Rache üben kannst.“ Sie kam wieder auf ihn zu und legte ganz sanft ihre Hand an seine Wange und offenbarte ihm ein anderes Bild: Sie stand umringt von anderen Personen in einem Trippel-A-Konzern, es war eine heftige Diskussion im Gange und dann warf sich sich mit all ihrer Stärke auf einen blonden Mann, der das Gleichgewicht verlor. Zusammen brachen sie durch eine Glasfront und stürzten hunderte von Metern in die Tiefe, bevor er sich verwandelte. Er war ein Drache mit strahlenden, goldenen Schuppen. Lofwyr trug sie auf golden-roten Schwingen in die tiefe Nacht hinfort, während das Gebäude hinter ihnen in Flammen aufging. Das war der Moment 2012, als sie sein Leben gerettet hatte und er ihres.
„ Ich weiß nicht, wo deine Raven jetzt ist... Ich kann dir nur sagen, wo Alamais in 14 Tagen sein wird...“ sie überlegte kurz und hätte am liebsten ein Blatt Pergament gehabt, um es zu schreiben.
„Duke's Residence Inn, hier in Seattle am Lake Union – da wird er in 14 Tagen sein... Mein Volk ist leider zu schwach und zu dezimiert, um dir eine Truppe zu stellen, aber solltest du eine Unterkunft oder Hilfe brauchen, komm zu Seymour Lake. Ich werde dich finden, vorausgesetzt...“ sie kam langsam auf ihn zu...

Sie schmunzelte und ließ von ihm ab.
„Ich habe keine Voraussetzungen. Vorausgesetzt, du möchtest da sein zur genannten Zeit und am genannten Ort. Vorausgesetzt, du willst meine Gesellschaft und die meines Volkes in Kauf nehmen und dich diesem Gegner wirklich stellen?“ Dann zuckte sie scheinbar gleichgültig die Schultern und wandte sich ab.
„Was deine Raven betrifft, ich weiß es nicht. Sie ist einfach wieder verschwunden, ohne irgendwelche Details oder Kontaktdaten zu hinterlassen. Ich glaube, sie legt keinen Wert darauf, gefunden zu werden. Außerdem könntest du so viel mehr haben...“, sie drehte sich wieder nach ihm um und schaute ihn an.
„Ich werde auf deine Entscheidung warten. Denk über mein Angebot nach, bekomm einen klaren Kopf und lass es mich dann wissen. Wie auch immer du dich entscheiden willst.“
Sie kam wieder auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu berühren.

Sie ließ sich bereitwillig zu ihm ziehen und lächelte wieder dieses unergründliche, fast gleichgültige Lächeln. Sie hätte sich wehren können und ihn ernsthaft verletzen können, aber das wollte sie nicht. Sie mochte ihn. Er erinnerte sie an einen guten, alten Freund, den sie einmal gekannt hatte. Zugegeben, mehr als gekannt...
Die bleckte die Zähne und offenbarte ihre langen, weißen Fänge zwischen den roten Lippen.
„Ich kann dir nicht alle Antworten geben, die du suchst. Was mich betrifft, kann ich dich aufklären. Ich bin wohl so etwas, dass niemals hätte existieren sollen. Eine Abnormität der Natur. Eine Laune der Götter. Meine Mutter war ein Vampir, mein Vater war ein freier Elementar, der sich in sie verliebt hat. Und wenn ein Elementar einen Vampir beseelt, passiert im schlimmsten Fall das!“, sie deutete kurz auf sich selbst. „Und vor einigen Jahren, als die amtierende Vampirkönigin von uns geschieden ist, habe ich mich erklärt ihren Platz einzunehmen mit allen Pflichten und Aufgaben, mit allen Vorzügen und all ihrer Macht, die in einem langwierigen Ritual alle auf mich übertragen wurden...“ Sie machte eine kurze Pause und schaute kurz weg, bevor sie fortfuhr.
„Viele glauben, dass das Meta-Menschliche Vampirische Virus eine Erscheinung der Sechsten Welt ist, aber es gab es schon viel früher und damit sind alle Alten, die es vor der fünften Welt gab und die bis jetzt überlebt haben, mir unterstellt. Es ist nur ein winziger, eingeschworener Kreis, der in meinem nächsten Umfeld lebt und ein Paar weitere Vampire, die draußen in der Welt verstreut sind und für mich arbeiten. Deswegen können wir dir eine gewisse Unterstützung zusichern, aber mehr auch nicht. Und was deine Raven betrifft, ich kenne sie nicht und kannte sie vor dem einzigen Treffen, das wir hatten, nicht. Und ja, zu meiner Zeit habe ich für Menschen gearbeitet, für Tripple-A-Konzernen, sogar für Dämonen und Drachen... bis ich meinen Platz als Vampirkönigin annahm – falls man es so bezeichnen kann... So zufrieden? Oder welche Fragen soll ich dir als nächstes beantworten?“, damit grinste sie ihn an und machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Fänge zu verstecken.